Down under
Na ja, nicht das wirkliche down under, aber unseren voraussichtlich südlichsten Punkt Europas haben wir erreicht. Die letzte Etappe hierher etwas holprig, teuer (siehe Bericht), aber schön.
Es ist Wochenende, 21./22. April. Der Wetterbericht zeigt nördliche Windrichtungen ab morgen/übermorgen und das anhaltend für einige Tage. Die ideale Voraussetzung um die rund 5 bis 7 Etappen an die Algarve in Angriff zu nehmen. Geplanter Start nach Figueira da Foz (67 nm) am Dienstag früh um 5 Uhr.
Montag 23. April neues Wetterupdate geholt. Passt noch und weiter geht es auch? Nicht wirklich. Es ist eine Wetterveränderung vorhergesagt die eine Weiterfahrt eher unwahrscheinlich erscheinen lässt, so dass wir vermutlich spätestens in Lissabon wieder festhängen.
Was nun. Wir haben zwei Monate bis Porto benötigt und damit noch nicht mal die halbe Strecke bis zur Algarve zurück gelegt. Um in zwei Monaten vor den Kanaren zu sein würde die Zeit (noch) locker reichen. Aber Marokko müssten wir dann wohl knicken.
Direkt nach Nazaré, Lissabon, oder Sines? Oder gar Lagos? Zu weit weg? Aber mal schauen. Koordinaten ins Wetterprogramm eingegeben. Draußen weht schon ein merklicher Nordwind, der deutlich hörbar ruft: Macht los. Der Törnplaner gibt als voraussichtliche Ankunftszeit 26. April ungefähr mit Sonnenaufgang an, sofern wir noch im Laufe des Nachmittags ablegen.
Schatz, was meinst Du dazu? Wir müssen noch einkaufen. Ok, machen wir, dann das Boot seeklar und es kann losgehen. Die ganze Küste in einem Stück? Lissabon und Sines waren wir schon mit der B.OLD. Allerdings Nazaré würden wir missen, nicht weil uns der Ort am Herzen liegt (der bestimmt Besuchens wert ist), sondern weil dort unsere wundervolle Ratgeberin Dody mit ihrer Tonga liegt.
Grübel, grübel aber am Ende Ok, beide sind wir dafür Richtung Lagos abzulegen. Sollten sich das Wetter ändern, haben wir ja noch zahlreiche Möglichkeiten die Küste entlang Marinas anzulaufen.
Auf geht’s gegen 15 Uhr. Sonnenschein, angenehmer Wind aus der richtigen Richtung und milde Temperaturen bescheren uns einen schönen Abschied von Leixões. Es geht gut voran, herrliches Segeln. Da der Wind von hinten kommt mit „Schmetterling“, also Großsegel auf der einen Seite (gesichert mit Bullenstander) und das Vorsegel auf der anderen Seite ausgebaumt. So geht es mit 5 bis 6 Knoten und teilweise darüber bilderbuchmäßig los.
In der Abenddämmerung nehmen wir den Spi-Baum vom Vorsegel weg. Wird wohl allgemein so empfohlen, damit man nicht Nachts bei veränderten (meist erschwerten) Bedingungen auf dem Vorschiff rumtanzen muss. Habe den Spi-Baum schon einige Male gesetzt und geborgen, aber es ist immer eine sperrige Angelegenheit.
Dadurch werden wir die Nacht durch allerdings deutlich langsamer, da auch der Wind sich an die Vorhersage hält und selten über 5 Bft weht. Sollte eine ruhige Nacht bescheren, tut es aber nicht, da die reichlich vorhandenen Wellen die Luna Mare ordentlich tanzen lassen. Hinzu kommt, dass wir in der ersten Nacht, auch wegen der Aufregung an neue Ziele zu gelangen, ohnehin schon wenig Schlaf finden.
Die Freude auf einen ebenfalls sonnigen zweiten Tag, so wie vorhergesagt, wird nicht erfüllt. Eine blasse Scheibe nach Sonnenaufgang am Horizont verschwindet kurz darauf hinter Dunst und Wolken und bleibt dort bis zum Sonnenuntergang. Erst hernach klart es auf, so dass Mond und Sterne die Nacht etwas erhellen.
Und die Nacht hat es in sich. Wir sind am Nachmittag Höhe Peniche und haben noch 35 sm bis Höhe Cascais, wo wir den Kurs dann Richtung SSO ans Kap Sao Vicente ändern werden, wo wir dann in die Algarve abbiegen. Kurz vor Höhe Cascais und kurz vor Sonnenuntergang nimmt der Wind wie aus dem nichts zu und geht auf über 30 kn, von hinten. Laut Forecast waren im allgemeinen 5 bis 6 vorhergesagt, aber in Böen durchaus 7 bis 8. Und die habe ich quasi verschlafen, lief ja so schön. Und der Spi-Baum noch gesetzt.
Hier sieht man wie flott wir unterwegs sind, vermute in dem Moment hat uns gerade eine Welle mitgenommen, so schnell sind wir ansonsten nicht (Dank an SY Columbia für den screenshot):
Kurz vor Höhe Cascais und kurz vor Sonnenuntergang (also kurz nach obigem Screenshot) ein Knall, das Vorsegel flattert plötzlich ungestüm hin und her und beim Blick auf die Seite sehe ich unseren Spi-Baum, in der Mitte geteilt, im Meer schwimmen. Hinterherhüpfen macht keinen Sinn, aber das Vorsegel muss erst mal gebändigt werden, damit es im Wind nicht schweren Schaden nimmt. Schnell aufgerollt war es mächtig verquer auf dem Vorstag. Also vorsichtig nochmal rausgeholt und ordentlich aufgerollt.
Weiter mit Großbaum, gesichert vom Bullenstander, und ja, merde, der Spi-Baum war nicht gerade ein preisliches Schnäppchen. Aber shit happens. Es ist zwar mehr Wind als erwartet, aber es geht trotzdem gut voran. So weit ich das bei anderen gesehen habe, segeln viele bei achterlichen Winden nur mit Vorsegel. Habe aber auch schon einige nur mit Großsegel gesehen. Also passt schon.
Nach dem Kap müssen wir den Kurs geringfügig ändern, das bedeutet aber, dass der Wind nun von der anderen Seite kommt. Immer noch fast von hinten, aber nur fast. Da wir mittlerweile 40 kn Wind haben und der beständig zu bleiben scheint, es also nicht nur eine Böe ist, machen wir eine sogenannte Q-Wende. Ist sicherer als Halsen.
Die Q-Wende hat auch gut funktioniert. Mit der Nase im Wind zeigt der Windmesser 45 kn an. Beim Lösen des Bullenstander (ist an der Mittelklampe befestig) erst mal eine Salzwasserdusche. Die Schwerwetterjacke kann das problemlos ab, aber Hose und Socken sind nass. Nicht schlimm, kann man ja wechseln.
Allerdings versuche ich zu direkt auf Kurs zu gehen, so dass der Wind bei durch die Wellen verursachten gröberen Bootsbewegungen mal von hier, mal von dort kommt. Ergebnis: eine Patenthalse. Dabei kommt das Segel mit Rumms von einer Seite zur anderen und war einen Augenblick später auch schon wieder mit einem weitern Rumms zurück gekehrt.
Der Baum ist hoch genug, so dass er uns nicht treffen kann. Das würde verherrende Folgen haben. Die kann es allerdings auch für das Boot haben, da die Kräfte, die da wirken, immens sind. Also etwas Kurs angepasst, so dass ich den Bullenstander wieder zur Sicherung anbringen konnte. Bei dem Wind und den Wellen eine spannende Angelegenheit.
Alles wieder dran und der erste prüfende Blick erkennt keine Beschädigungen am Material, insbesondere an der Befestigung des Baumes am Mast, oder an einer Want, mit der er kollidiert ist. Das Großsegel hatte sich noch etwas verknotet, konnten wir aber schnell lösen und weiter geht die Rauschefahrt mit Wind von ziemlich direkt hinten.
Habe noch die Worte von Matthias im Ohr (der von der Algarve kommend in Leixões vorbei kam), wonach er in diesem Fall vor dem Wind kreuzt. Aber anstatt das auch zu tun, gehe ich auf direkten Kurs, der Bullenstander sichert ja den Großbaum. Dann plötzlich, nachdem uns eine Welle ordentlich verschoben hat, kommt der Großbaum wieder in Bewegung. Wird dann aber abrupt vom Bullenstander gebremst.
Mist, da habe ich den Bullenstander nicht ordentlich festzgezurrt. Also wieder zur Mittelklampe und nachziehen. Dabei sehe ich, dass ich den nicht korrekt angebracht habe. Also komplett lösen, neu „verlegen“ und festzurren. Passt, es sieht alles ok aus. Wir sind mittlerweile im zweiten Reff und damit das nicht nochmal passiert ändere ich den Kurs so, dass der Wind leicht seitlich reinkommt (Danke Matthias für den Tipp).
Und so geht es im zweiten Reff bei reichlich Wind mit ordentlicher Geschwindigkeit voran. Da wir recht flott unterwegs sind, ist die neue Ankunftszeit nicht am Donnerstag in der Früh, sondern bereits am Mittwoch Abends. Sofern wir vor 18 Uhr da sind, können wir noch an einen Liegeplatz, ansonsten am Anmeldesteg übernachten. Grund ist eine Fußgängerbrücke, die ab 18 Uhr mangels Personal nicht mehr geöffnet wird.
Nach dem Kap Sao Vicente lässt der Wind etwas nach. Zwischenzeitlich sind wir im ersten Reff und, da der Wind etwas seitlicher einfällt mit Vorsegel. Jetzt könnten wir das erste Reff auch rausnehmen. Brauchst du mich dazu fragt die Skipperin. Nö, kann ich alleine.
Denkste. Das zweite Reff geht nicht mehr raus. Es blockiert einfach. Was ist das jetzt. Egal, wir bergen das Großsegel und fahren halt nur mit Vorsegel weiter. Beim Bergen habe ich schon den Eindruck, der Baum ist irgendwie krumm. Trotz dass wir nun nur mit Vorsegel unterwegs sind, schaffen wir es aber zeitig nach Lagos und kommen noch so reichtzeitig in der Marina an, dass die Brücke für uns geöffnet wird.
Insgesamt war die Überfahrt ganz ok, ohne oder mit zu wenig Wind macht ja auch keinen Spaß. Man kommt nicht an bzw. benötigt den Motor fürs vorankommen. Aber leider stellt sich heraus, dass nicht nur der Spi-Baum verloren ging, es fehlt auch eine Segellatte und vor allem, der Großbaum hat uns die Nachlässigkeit beim Bullenstander krumm genommen und ist jetzt im wahrsten Sinne des Wortes geknickt.
Da haben wir wieder etwas gelernt, was die Notwendigkeit der sorgfältigen Arbeit insbesondere bei schwererem Wetter angeht. Hier, dass der Bullenstander festgezurrt werden muss. Lehrgeld bezahlt, aber etwas viel in Relation zum Erkenntnisgewinn. Das ist nicht gut für die Bordkasse. Aber mittlerweile weiß ich, dass nahezu niemand vor solchen Dingen verschont ist.
Schön wenn man ankommt:
Und das schöne ist: Endlich Sommer. Wir wurden mit 20° Celsius und Sonne empfangen, am zweiten Tag ebenso und auch heute am Freitag. Aus dem Norden werden wir noch mit etwas kühlerem Wind versorgt, aber tagsüber absolutes T-shirt-Wetter und Abends ein Jäckchen, alles bestens.
Für den Abend werden wir von Bernhard und Rosita von der SY Columbia gleich zum Abendessen eingeladen. Lecker Gulasch und ein Bier dazu bringt die Kräfte wieder zurück. War toll die beiden, nach Travemünde vor einem Jahr, hier nochmal zu treffen, bevor sich unsere Wege wohl endgültig trennen, da die beiden ins Mittelmeer abbiegen und wir ja eher Richtung Karibik wollen. Fair winds und tolle Erlebnisse im Mittelmeer wünschen wir Euch.
Und während ich das hier schreibe und die Steaks auf dem Grill bruzzeln, ist auch das Großbaumprofil und der Spi-Baum auf dem Weg nach Portugal. Dank Urs Weisel von der Yachtwerft Heiligenhafen und insbesondere auch Sören Matthiessen und Christoph Niediek von Gotthardt Yacht ging das ruck zuck. Vielen Dank an dieser Stelle. Einziger Vermutstropen: Auch die Rechnung ist vermutlich schon unterwegs ;-).
Nein, ohne Scherz, so schnelle Hilfe ist ganz ausgezeichnet und wir können dann doch voraussichtlich relativ bald weiter. Entweder noch die Algarve erkunden, oder direkt nach Marokko, bevor es dort zu heiß wird.
Hier schon mal ein paar Lagos Impressionen.
Martin sagte:
Moin ihr beiden,
heldenhaftes Lehrgeld! Seid froh, dass Euch nicht mehr passiert ist, das hätte auch ins Auge gehen können.
Ein kleiner Tipp, lenk den Bullenstander in jedem Fall an einem passenden Punkt über eine ordentliche Rolle ins Cockpit um. Und halte immer schon auf beiden Seiten einen so angeschlagenen Bullenstander bereit. Dann muss bei diesem Wetter keiner raus aus dem sicheren Cockpit und zu einem Kurswechsel löst ihr den einen und setzt den anderen einfach nur durch.
Und fahr achterlichen Wind nie ganz platt vorm Laken, immer etwas schräg in Abhängigkeit der Wellen. Und stell den Autopiloten auf Windfahne und nicht aus Kurs, dann geht das in der Regel sehr gut.
Wir fahren übrigens solches Wetter immer nur mit Groß und fast nie mit Vorsegel.
Liebe Grüße aus dem Kurischen Haff, dort ist es leider noch nicht ganz so mollig warm.
Martin & Astrid
Paul sagte:
Also Helden sind wir definitiv keine. Was die Patenthalse betrifft ist bei uns durch den Decksaufbau der Baum hoch genug und wir auch vorsichtig genug. Denke die Gefahr war nicht so groß. Und der Spi-Baum hat sich ja vom Vorschiff aus verabschiedet. Glaube nicht, dass es der irgendwie zu uns ins Cockpit geschafft hätte.
Und was das Boot betrifft. Klar, da kann man sich diverse Szenarien vorstellen. Aber das kann man sich beim Autofahren auch. War alles halb so wild.
Sofern ich auf mehr Sorgfalt beim setzen des Bullenstanders achte, dann müsste das Thema im wesentlichen erledigt sein.
Und du hast natürlich recht. Nicht platt vor dem Wind, sondern leicht kreuzen. Gerade bei Raumschotkursen verliert man dadurch ja kaum Zeit.
Laut Eurer Homepage seit ihr jetzt in einer Auszeit? Wie lange habt Ihr?
Liebe Grüße aus Lagos
Paul
Martin sagte:
Bis Anfang Oktober. Dann wieder über Winter arbeiten und dann wieder 6 Monate segeln. Wenn unsere Firma das nochmal mitmacht. Wenn nicht wird eben mehr gesegelt.
Passt auf Euch auf und viele Spaß!
Martin